Spiegelau – Geschichte
Bereits im ausgehenden Mittelalter beginnt die systematische Rodung und Besiedlung des Waldgebietes rund um Spiegelau. Auch damals versuchte die Obrigkeit, von ihren Untertanen so viele Steuern und Abgaben wie nur möglich einzutreiben. Dazu brauchte man genaue Kenntnis von den Besitzverhältnissen der Menschen, die man akribisch in Verzeichnissen festhielt. Dadurch wissen wir heute, dass schon 1395 die Orte "Kreitzperg" (das heutige Oberkreuzberg), "Chlingprun" (das heutige Klingenbrunn), Palmberg, Langdorf und Hirschschlag, sowie die Güter Augrub und Winkelhof bestehen. Scherbenfunde aus der Zeit der Frühgotik belegen, dass die Besiedlung bereits mindestens 100 Jahre früher begonnen haben muss.
Ende des 15. Jahrhunderts beginnt man, das reichlich vorhandene Holz und die Quarzvorkommen zur Glasherstellung zu nutzen. In Hirschschlag steht zu dieser Zeit eine Glashütte, in der "Patterl" (Glasperlen) hergestellt werden. Auch in Klingenbrunn wird Glas erzeugt. In diese Zeit fällt auch die Gründung von Spiegelau als Glashüttenstandort. 1521 vermacht der Grafenauer Kaufmann Erasmus Mospurger, der auch die Passauer Bürgerrechte besitzt, seine beiden Glashütten Spiglaw (Spiegelau) und Klingenprun (Klingenbrunn) testamentarisch der Grafenauer Pfarrkirche. Mit dieser Urkunde wird die Existenz Spiegelaus als Glashütte zum ersten Mal dokumentarisch belegt. Das dazu gehörende Glashüttengut mit Herrenhaus, Landwirtschaft, Brauhaus und den Häusern für die Bediensteten steht in Klingenbrunn und bleibt dort bis ins 19. Jahrhundert.
Was ein "richtiger" Ort ist, hat (mindestens) ein Wirtshaus und eine Kirche. Der größte Ort ist bis ins 19. Jahrhundert hinein Oberkreuzberg. Dort steht auch seit 1607 die Kirche (als Nebenkirche der Pfarrei Schönberg), von der aus die anderen Orte und Güter betreut werden. Der kleine Ort Palmberg ist im 16. Jahrhundert als "Obmannschaft" (vergleichbar mit dem heutigen Begriff "Gemeinde") erwähnt, zu der Langdorf, Klingenbrunn, Hirschschlag, Holzmühle und Pronfelden gehören.
Als 1832 der letzte Klingenbrunner Glashüttenherr Felix von Hilz seinen ganzen Besitz an das Königreich Bayern verkauft, beginnt eine neue Zeit. Auswärtige Unternehmer investieren in die Glashütten und betreiben diese mit zunehmendem Erfolg, die ehemaligen Bediensteten können ihre Wohnhäuser und Grundstücke als Eigentum erwerben. Klingenbrunn wächst zu einem Ort heran.
Die 1808 und 1818 zu einer Gemeinde zusammengelegten Ortschaften um Klingenbrunn und Kreuzberg wachsen und werden schon 1833 wieder getrennt. Unter dem neuen Eigentümer Anton Stangl blüht die Spiegelauer Glashütte auf. Gleichzeitig entsteht eine regelrechte Holzindustrie. Der Ort, der zunächst Schwarzach, manchmal auch "Stanglhütte" genannt wird, wächst schnell. 1890 erhält Spiegelau einen Eisenbahnanschluss und wird dadurch noch interessanter für sich ansiedelnde Unternehmen.
Holz- und Glasindustrie machen Spiegelau, das damals politisch zu Klingenbrunn gehört, kirchlich von der Pfarrei Oberkreuzberg betreut wird, zu einem der wichtigsten Industriestandorte der Gegend. Hunderte von Arbeitsplätzen entstehen. In Spiegelau selbst wird 1901 die erste Kirche erbaut. Es ist die evangelische Martin-Luther-Kirche. Die katholische Pfarrkirche folgt 1917.
Ebenfalls um die Jahrhundertwende beginnt man die urige Gegend mit den unübersehbaren Wäldern und der beeindruckenden Steinklamm als "Sommerfrische" zu entdecken. Der Fremdenverkehrsort Spiegelau ist geboren. Ruhe, Natur und Gastlichkeit ziehen bereits damals die Reisenden an.
Der Klingenbrunner Ortsteil Spiegelau wächst weiter und 1959 wird der Name der Gesamtgemeinde in Spiegelau umgeändert. Der Name Klingenbrunn bleibt jedoch als Gemeindeteilname erhalten.
Zu Spiegelau gehören jetzt die Gemeindeteile Spiegelau, Althütte, Flanitzhütte, Hauswald, Jägerfleck, Klingenbrunn, Kronreuth, Neuhütte, Ochsenkopf, Reinhardschlag und Sommerau und bald auch List.
Die bisher eigenständige und auch ältere Gemeinde Oberkreuzberg mit ihren bisherigen Gemeindeteilen Augrub, Beiwald, Hirschöd, Hirschtalmühle, Hirschschlag, Hochreuth, Holzhammer, Holzmühle, Kirchenberg, Langdorf, Luisenfels, Marienhöhe, Mühlberg, Palmberg, Rehbruck, Reuteck, Ringen, Steinbüchel, Winkelhof, Winkelmühle und Winkelreuth werden im Zuge der Gemeindegebietsreform 1978 nach Spiegelau eingegliedert. Im gleichen Zug kommt auch Pronfelden von St. Oswald-Riedlhütte zu Spiegelau.
Spiegelau hat sich zu einem modernen Ort gewandelt, der sich sowohl als günstiger Standort für die Glashütte und andere mittelständische Betriebe wie auch als beliebter Fremdenverkehrsort bewährt. Und obwohl der Tourismus längst die Haupteinnahmequelle des Ortes ist, ist Spiegelau doch von allem Rummel, Nepp und lärmender Betriebsamkeit verschont geblieben.
Im Jahr 1997 eröffnet der damalige Bundeskanzler Kohl in Spiegelau die "Glasstraße". Diese neue deutsche Ferienstraße führt von Neustadt an der Waldnaab über Spiegelau bis nach Passau und zeigt die Vergangenheit und Gegenwart des Glases entlang dieser Fahrtroute. In der Kristallglasfabrik Spiegelau kann man bei einer Hüttenführung die Herstellung des Spiegelauer Echtkristallglases am umweltfreundlich mit Erdgas beheizten Glasofen bestaunen.
Es ist jedoch nicht nur das Glas, das Spiegelaus Geschichte so entscheidend beeinflusst hat. Spiegelau hat etwas im Überfluss, was viele Menschen oft vergeblich suchen. Am Fuße des zweithöchsten Berges des Bayerischen Waldes, des "Großen Rachel" gelegen, inmitten des größten zusammenhängenden Waldgebietes Mitteleuropas, findet man Ruhe, gute Luft, weitgehend unberührte Natur, Wälder soweit das Auge blickt. 1970 wird hier der erste deutsche Nationalpark gegründet. Die weitgehend vom Menschen zurückgedrängte Natur soll hier noch ein kleines Rückzugsgebiet haben, in der sie sich selbst ohne menschliche Eingriffe entwickeln kann. Die Lage Spiegelaus als Tor zum Nationalpark, sowie die vielen Möglichkeiten der Erholung in der Natur ziehen Jahr für Jahr viele Feriengäste aus aller Welt an. Was für die ersten Besiedler der Wildnis am Fuße des Rachel noch täglicher Überlebenskampf war, dient heute vielen Menschen als Ort der Ruhe und Erholung.